Kultur und Geschichte

Wenn Heilige sich zum Kirchenvolk begeben

Erharting: Zu einer außergewöhnlichen Kirchenführung hatte der Brauchtumsverein in Zusammenarbeit mit dem Kreisbildungswerk Mühldorf eingeladen. In einer allgemeinen Einführung zur Baugeschichte und Stilrichtung des Erhartinger Gotteshauses erläuterte Leonhard Biermaier die vorangegangenen Schwierigkeiten beim Abbruch der baufälligen Vorgängerkirche im Jahr 1754, die Abwägungen bei den eingereichten Kostenvoranschlägen und die kurzfristig aufgetretenen Probleme durch den plötzlichen Tod des ausgewählten Baumeisters Johann Reismayr aus Neuötting unmittelbar vor Baubeginn im April 1754. Als sich daraufhin die Witwe des Verstorbenen mit ihrem Schwager Josef Reismayr, bürgerlicher Maurermeister aus Landshut, zusammenschloss konnte der Baubeginn im Mai 1754 erfolgen. Die im Akkordverfahren ausgeführten Bauarbeiten gingen zügig voran und so war im Dezember 1754 der Rohbau der Kirche einschließlich des gedeckten Daches fertiggestellt. Diesem günstigen Umstand entsprechend bat der Erhartinger Pfarrer Johann Ulrich Polz den Mühldorfer Dekan Wolfgang Summerer die im Rohbau erstellte Kirche vorläufig zu benedizieren (weihen) um darin schon Gottesdienst halten zu können. Dass sich der ausführende Baumeister bei der Kostenplanung mit dem billigsten Angebot reichlich verschätzt hatte zeigte sich bei vielen Einsparungen hinsichtlich der Bauausführung. Schon wenige Jahre nach der Fertigstellung und Einweihung im September 1762 zeigten sich schon erhebliche Baumängel an dem neuen Kirchengebäude. Unter anderem berichtet der Erhartinger Pfarrer, dass man im Presbyterium und dem Langhaus Eimer und Wannen aufstellen musste um das durch die Gewölbe sickernde Regenwasser auffangen zu können.

                           Kirchenpatrone mischen sich unter das anwesende Kirchenvolk

Mit großer Spannung wurde der angekündigte Auftritt der Erhartinger Pfarrpatrone erwartet, die seit 267 Jahren an der sehenswerten Außenfassade der Pfarrkirche ihren angestammten Platz einnehmen. Als dann die Apostelfürsten Petrus (Leonhard Biermaier)und Paulus (Thomas Mück) in entsprechender Gewandung den Kirchenraum betraten beklagten sie sich darüber, dass sie bei Wind und Wetter in luftiger Höhe in ihren Nischen am Kirchengiebel ausharren müssten während ihre Kollegen im heiligmäßigen Stand bequeme Plätze im Kircheninneren einnehmen würden. Als der Heilige Paulus von den Zeiten schwärmte als die beiden Schutzpatrone in der alten Vorgängerkirche noch ihren gebührenden Platz am Hochaltar hatten, wies ihn sein Kollege Petrus unmissverständlich darauf hin, dass er bis zum Jahr 1638 der alleinige Schutzherr der Erhartinger Pfarrkirche war.

Vom Christenverfolger zum Kirchenpatron – Resozialisierungsprogramm?

Er, Petrus, könne nicht verstehen wie ein ehemaliger Christenverfolger (vom Saulus zum Paulus) als Kirchenpatron auserwählt wurde. Von einem positiv abgeschlossenen Resozialisierungsverfahren für ehemalige Christenverfolger sei ihm nichts bekannt. Nach einigen weiteren Eifersüchteleien der Apostelfürsten gingen die Beiden dann auf die verschiedenen Skulpturen und Bildnisse von den Heiligen im Kirchenraum ein. Dabei stellten sie übereinstimmend fest, dass die Erhartinger Kirche ein Sammellager für heimatlos gewordene Heilige darstellt.

Sammellager für heimatlos gewordene Heilige

 So hatte man dem Heiligen Stephanus im Zuge der Säkularisation im Jahr 1803 seine Heimat, die Frixinger St. Stephanuskirche abgebrochen und das Altarbild mit der Steinigung des Erzmartyrers in die Erhartinger Pfarrkirche verbracht. Ähnlich verhielt es sich mit den Assistenzheiligen St. Georg und St. Martin aus der Hampersberger Kirche die in Erharting eine sichere neue Heimat gefunden haben. Das zahlreich anwesende Kirchenvolk amüsierte sich vorzüglich bei den mit feinsinnigem Humor vorgetragenen Geschichten zu den einzelnen Heiligen.

Heilige im Kirchenraum geringschätzig als „Innendienstler“ tituliert

Als die beiden Apostel gerade wieder richtig in Fahrt waren und die Heiligen im Kircheninneren geringschätzig als „Innendienstler“ bezeichneten, kam die Gottesmutter Maria (Maria Atzinger) gemessenen Schrittes durch das Portal in die Kirche. Verwundert über die vielen Besucher fragte sie spontan ob denn jemand zwei Heilige gesehen hätte die den längst vergangenen Zeiten nachjammern würden. Nach einer kurzen Belehrung der Kirchenpatrone zu ihren unbegründeten Eifersüchteleien gegenüber den Kollegen im Kirchenraum stellte sie die Vorzüge hoch über dem Eingangsportal in luftiger Höhe am Kirchengiebel dar. Man sehe da draußen viel und könne am täglichen Leben der Erhartinger hautnah teilnehmen. Zum Schluss ihrer aufschlussreichen Betrachtungen forderte sie die Pfarrpatrone Petrus und Paulus auf, mit ihr gemeinsam an den angestammten Platz an der Schauseite der Pfarrkirche zurückzukehren. Schweren Herzens verließen sie dann den Erhartinger Boden unter ihren Füßen um ihre gewohnten Plätze wieder einzunehmen. Begeisterter Beifall begleitete das himmlische Trio auf dem Weg zur Kirchentüre hinaus. Mit dieser  Art der lebendigen Kirchenführung hat der Brauchtumsverein in Zusammenarbeit mit dem Kreisbildungswerk neue Wege im Umgang mit der Kirchengeschichte und der unverkrampften Behandlung von religiösen Themen im Alltag vermittelt.

Zu den Fotos: Die Pfarrpatrone Petrus und Paulus beraten sich mit der Mutter Gottes. Von links Petrus (Leonhard Biermaier), Heilige Jungfrau und Gottesmutter Maria (Maria Atzinger) Paulus (Thomas Mück). Foto: Josef Padlesak

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