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Garching: Wenn die Strukturen glaubwürdig sind, wird auch Jesu Botschaft wieder mehr nachgefragt

Reinhard Kardinal Marx, Erzbischof von München und Freising, Priester, haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter der Kath. Kirche zeigen sich tief betroffen und fassungslos über das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs im Bereich der Erzdiözese München und Freising.

Dazu gehören auch die Verbrechen von „Pfarrer H“ aus Garching a. d. Alz, sie sind bereits seit einigen Jahren bekannt, belasten aber die Gläubigen der Region natürlich ganz besonders.

Geistlicher Rat Hans Speckbacher ist Pfarrer im Pfarrverband Garching-Engelsberg, der Nach-Nachfolger von „Pfarrer H“ in Garching, ein Geistlicher also, der vor Ort mit Missbrauch konfrontiert ist.

Kardinal Marx war im Juli des vergangenen Jahrs zu Gesprächen in Garching, und im März 2020 traf Kardinal Marx eine Gruppe aus dem Pfarrverband Garching-Engelsberg.

inn-sider.de fragte Pfarrer Hans Speckbacher nach seiner persönlichen Einschätzung, hatte er den Eindruck, dass sich Kardinal Marx um eine echte und lückenlose Aufarbeitung bemühte oder mehr um Schadensbegrenzung?

Pfarrer Speckbacher:
„Ich sehe bei Kardinal Marx einen Lernprozess in der ganzen Angelegenheit, der Besuch hier im Pfarrverband Garching-Engelsberg war hilfreich, er hat die richtigen Worte gefunden und ich erlebte ihn ehrlich betroffen.
Er will sich ab jetzt nach eigenen Aussagen konkreter um betroffene Menschen und Pfarreien kümmern. Meines Erachtens will er Kardinal Ratzinger/Papst em. nicht weh tun, vielleicht in manchen Bereichen noch zu sehr das „System“ schützen, Aussagen über Reformen sind oft noch unkonkret („synodaler Weg“). Er hat aber mitgeholfen, in unserer Diözese Strukturen zu schaffen, Fortbildungen bei pastoralen Mitarbeitenden zu verlangen, klare Ansprechpartner zu benennen, die zu mehr Transparenz führen (können) – das sehe ich positiv.“

Auf unsere Frage, ob er selbst so etwas wie ein Vorverurteilung seiner eigenen Person erleben musste,
sagt uns Pfarrer Hans Speckbacher: „Als Leiter des Pfarrverbands hat man natürlich stark mit den verschiedenen Befindlichkeiten und Ansichten von Menschen vor allem zum Thema „Pfarrer H.“ zu tun – das ist nicht leicht zu moderieren. Direkte Vorverurteilung erlebte ich nicht – es besteht doch zu den Menschen vor Ort meiner Einschätzung nach ein Vertrauensverhältnis. Trotzdem erschüttert es einen selbst.“

Und natürlich wollte inn-sider.de wissen, ob Pfarrer Speckbacher Missbrauchsopfer persönlich kennt und Kontakt mit Ihnen pflegt.

„Ich kenne Opfer persönlich, hatte Gespräche mit direkt und indirekt stark Betroffenen, das wird auch so weiter gehen, ist mir ein Anliegen.“

Viele Menschen regieren mit Kirchenaustritt, wie geht man in Garching damit um? Und was sagt Pfarrer Speckbacher denen, die sagen ich kann auch glauben ohne die Institution der Kirche.

Pfarrer Hans Speckbacher: „Bei uns hier gibt es nicht signifikant mehr Austritte als normal. Viele sind ja um 2010 ausgetreten; ich denk, die konstruktive Arbeit am Thema trägt schon auch kleine Früchte. An der Basis geschieht ja nach wie vor sehr viel Tolles, das wird ja in der pauschalen Empörungswelle vergessen.
Auch all die Ehren- und Hauptamtlichen, die täglich redlich ihre Arbeit tun!

Glaube allein, oder mit anderen Gruppierungen? 
Geht zum Teil; am Ende braucht jeder Glaube Mitmenschen, wo er geteilt, miteinander gelebt wird. In Krisen braucht es Vertiefung, Läuterung, neue Verwurzelung in letztem Geheimnis.

Welche Kirche/Gemeinschaft braucht es?
Hilfreich, glaubwürdig! Machtkontrolle (z. B. auch Bischöfe zeitlich begrenzt), mehr synodales Miteinander, Männer und Frauen in Leitung, freiwilligen Zölibat, Vertiefung der Gottesbeziehung, Kontrolle der Gelder von unten – wenn die Strukturen glaubwürdig sind, wird auch Jesu Botschaft wieder mehr nachgefragt. Das sofort umsetzen, was diözesan machbar ist und sich nicht nur als „billige Filiale von Rom“ betrachten und ewig rausreden: „das geht nur weltkirchlich“ oder falsch mit aus dem Zusammenhang gerissenen Bibelzitaten was begründen. Der Glaube ist global, Strukturen haben sich der jeweiligen Kultur sinnvoll anzupassen. Wenn glaubwürdige Kirche nicht mehr da ist, übernehmen andere – da muss man erst sehen, was da raus kommt – einige problematische Gemeinschaften zeigten es uns bereits. Scharlatane gibt es genug, die das ehrliche Suchen von Menschen ausnutzen.“

Und der Geistliche Rat Hans Speckbacher zieht sein Fazit: „Die Kirche muss sich anders aufstellen“

Konrad Roider, Dekan des Dekanats Baumburg, zu dem die Pfarrei Garching gehört sagt zur Frage, was er Seelsorgern und Seelsorgerinnen in seinem Dekanat rät: „Den Seelsorgern rate ich, jetzt nicht den Mut zu verlieren. Es ist ein schreckliches Kapitel in der Geschichte der Kirche. Das kann keiner leugnen und wir gehen nun einen Weg der Aufklärung – das ist gut. Trotzdem weiß ich, dass viele kirchliche Mitarbeiter eine hervorragende Arbeit geleistet haben und auch leisten und das darf nicht übersehen werden. Genauso darf auch das Engagement vieler Ehrenamtlichen deshalb nicht übersehen werden. Im Hinblick auf Missbrauch gilt es zukünftig noch sensibler zu sein.“

Foto: inn-sider.de

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