Vor 111 Jahren, am 1. Advent, musste Michael Obeniedermaier in den Krieg ziehen
Vor 111 Jahren, am 1.Dezember 1914, wurde Michael Oberniedermaier, vom Mittermüllerhof in Maxing bei Erharting zum Kriegsdienst eingezogen. Auf ein Wiedersehen hoffend richtet er am 21.April 1915 eine Feldpostkarte an die Nachbarsfamilie Groisl, deren Sohn Georg schon am 20.August 1914 zum Dienst an der Waffe gerufen worden war. Den spärlichen Angaben aus den militärischen Unterlagen ist zu entnehmen, dass er nach einer gründlichen Ausbildung zum Kanonier und Richtschützen in den Vogesen eingesetzt war.
Aus sehr detaillierten Erzählungen seiner Tochter Juliana Beck geht hervor, dass ihr Vater mit den zu Kriegsbeginn eingesetzten alten Kanonen, bei denen man das Ziel noch über Kimme und Korn anpeilen musste nicht die gewünschte Treffsicherheit erreichte, während sein Kamerad Georg Springer vom Springer Wirt in Rohrbach eine bessere Trefferquote erreichte. Dies führte zu der Situation, dass Michael Oberniedermaier die Munition für seinen treffsichereren Kameraden heranschaffen musste, was schon eine körperliche „Schinderei“ war.

Neue Wehrtechnik verändert die Situation für den Kanonier Oberniedermaier
Kurze Zeit später kamen immer mehr modernere Geschütze zum Einsatz, die über eine hochtechnisierte Zieleinrichtung mittels leistungsfähiger Objektive und Prismengläsern in Scherenfernrohren zum „verdeckten Schießen“ auf nicht sichtbare Ziele ausgelegt waren. Dabei war es besonders wichtig, das feindliche Objekt unter Mithilfe von Entfernungsmessern als „Hilfsziele“ zu orten, nach denen die Schussrichtung aus allen Rohren möglichst exakt berechnet werden musste. Mit der neuen Wehrtechnik, die dem Kanonier Oberniedermaier sehr entgegenkam, stieg seine Trefferquote enorm und so ergab sich fortan die Situation, dass Oberniedermaier als ständiger Richtschütze fungierte und sein Kamerad aus der Heimat die schweren Geschosse für die „Donnerrohre“ heranschaffen musste.


Die Kanonenrohre glühten vom Dauerfeuer
Bei den Septemberkämpfen 1915 in der Champagne waren die sechs Geschütze seiner Abteilung vom Dauerfeuer schon heiß geschossen, die Rohre glühten und für die einzige noch taugliche Kanone war nur noch Geschoß vorhanden, aber dies abzufeuern, dazu kam es nicht mehr, denn sie erhielten einen verheerenden Volltreffer aus den feindlichen Reihen, bei dem einige seiner Kameraden getötet und der Richtschütze Michael Oberniedermaier am Kopf verwundet wurde. Unter anderem ein schwerer Gehörschaden verursacht durch die heftige Detonation des feindlichen Einschlages führte dazu, dass er über die Krankensammelstelle Tribounel, in der er seit dem 25.September ärztlich versorgt wurde, für eine Woche ins Reserve Lazarett 8 in Trier überstellt wurde und vom 6.Oktober 1915 bis 4.Januar 1916 im Reserve Lazarett in Bitburg (Eifel) seiner Gesundung entgegensah.


In der Hölle von Verdun und Giftgasangriff
Ab 5.Januar 1916 wurde er wieder der kämpfenden Truppe in verschiedenen Kriegsschauplätzen und davon überwiegend bei den Kämpfen um Verdun zugeteilt. Dort geriet er bei einem vermeintlich abebbenden Beschuss durch die Franzosen in einen völlig überraschenden Giftgasangriff. Der daraus resultierende „Gasbrand“, in den meisten Fällen endete dies mit dem Tod oder schwersten körperlichen und psychischen Schädigungen, sollte ihn auch zeitlebens begleiten. Waren ihm auch keine sichtbaren und spürbaren Einschränkungen geblieben, so zeigten sich die Nachwirkungen in der Weise, dass bei ihm auch kleinste Verletzungen und Wunden äußerst schlecht verheilten.

Am 17.November 1915 hatte er im Lazarett das Eiserne Kreuz 2.Klasse erhalten und im Herbst 1917 wurde er aufgrund seiner außerordentlichen Leistungen und Einsatz zum Unteroffizier befördert.

Noch ein gefährliches Abenteuer nach Kriegsende
Recht abenteuerlich gestaltete sich seine Rückkehr nach Kriegsende von Frankreich in sein Heimatdorf Maxing. Mit einigen Kameraden hatte er die überwiegende Strecke aus dem Feindesland bis nach München zu Fuß zurückgelegt. In München angekommen, war die Revolution schon im Gange und es herrschte eine ungute, gereizte Stimmung in der Stadt.
Uniform neutralisieren – bloß nichts Königliches mehr
Da er im Regiment König Ludwigs gedient hatte und die Uniform mit den Rangabzeichen entsprechend der bayerischen Monarchie ausgelegt war, riet man ihm, alles was auf die das königlich bayerische Herrscherhaus hindeuten konnte von der Uniform zu entfernen, was er dann auch tat. Das letzte Stück des Weges von München nach Mühldorf legte er mit dem Zug zurück.
Das schönste Weihnachtsgeschenk für die Familie vom Mittermüller Hof in Maxing
Am ersten Adventstag 1914 musste er in den Krieg ziehen und am letzten Adventstag, dem Heiligen Abend 1918 war er wieder in der geliebten Heimat angekommen, nur dass dazwischen mehr als vier Jahre sinnloser Entbehrung, Angst und Schrecken lagen, aber immer kompensiert mit der immerwährenden Hoffnung und dem unerschütterlichen Gottvertrauen, wieder glücklich heimzukehren.

Foto: Splitterkreuz angefertigt aus Granatsplittern vom Schlachtfeld in Verdun das auf einem Kartuschenteil eines Geschützgeschosses befestigt und mit feindlichen Gewehrkugeln „garniert“ ist
Von der amerikanischen Militärregierung zum Bürgermeister bestellt
Auf Grund seines kritischen Verhaltens gegenüber den NS Machthabern und der Tatsache, dass er sich stets weigerte die Ideologien des Hitler Regimes zu übernehmen, wurde er im Jahr 1946 von der amerikanischen Militärregierung als Bürgermeister von Erharting eingesetzt. Seine Beliebtheit bei der einheimischen Bevölkerung und vor allem seine Aufgeschlossenheit bei der schwierigen Lage der Bewältigung zur Unterbringung der Flüchtlinge führten dazu, dass er das Ehrenamt des Erhartinger Bürgermeisters bis zum Jahr 1966 ausübte.
In den 1960er Jahren das Schlachtfeld von Verdun besucht
In den 1960er Jahren besuchte Michael Obeniedermaier mit seinem Sohn Konrad die ehemaligen Plätze seines Fronteinsatzes in Frankreich, mit dem Schwerpunkt Verdun. Beim Gang durch die Festungsbunker und französischen Wehranlagen fühlte er sich nochmals
versetzt in die schreckliche Zeit des deutsch französischen Bruderkrieges, nun aber mit der Gewissheit, dass er die Schauplätze im nunmehr deutsch französischen Frieden besuchen konnte.
Spontaner Fremdenführer im ehemaligen Feindesland
Beim seinem Rundgang durch die Erdbunker und kuppelartigen Unterstände für die Geschütze traf er auf einige französische Schulklassen die auf einer geschichtlichen Erkundung des Schlachtfeldes von Verdun waren. Als die Schüler auf Michael Oberniedermaier aufmerksam wurden und erfuhren, dass er als deutscher Kriegsveteran nochmals an den Ort der verheerenden Schlacht zurückgekehrt war, hatten sie natürlich viele Fragen. Hier wurden die Kenntnisse der französischen Sprache des Richtschützen Oberniedermaier nach vielen Jahrzehnten wieder beansprucht. In einigermaßen verständlichem Französisch erläuterte Michael Oberniedermaier die Situation im Ersten Weltkrieg in der französischen „Hölle von Verdun“ ganz neutral aus der Sicht von Freund und Feind.
Besonderer Akt der Völkerverständigung
Bei seinen Ausführungen blieb auch der Elysee Vertrag (Freundschaftsvertrag)) aus dem Jahr 1963 zwischen Frankreich und Deutschland mit dem französischem General Charles de Gaulle und den deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer nicht unerwähnt. Oberniedermaier lobte das Entgegenkommen des französischen Staatsmannes und die Bereitwilligkeit des deutschen Bundeskanzlers zu dem bedeutungsvollen Freundschaftsvertrag. Sein Kontakt mit den französischen Schülern war somit ein besonderer Akt der Völkerverständigung.
Am 22.November 1979 ist Michael Oberniedermaier im Alter von 86 Jahren verstorben. Er fand als Erster im neu angelegten Erhartinger Gemeindefriedhof seine letzte Ruhestätte.
Fotos: Anneliese Beck, (Enkelin von Michael Oberniedermaier), Leonhard Biermaier, Text: Leonhard Biermaier nach Erzählungen von Juliana Beck geb. Oberniedermaier (Tochter) und Konrad Oberniedermaier (Sohn)
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