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Jesus, ich liebe dich

Ein Nachruf auf Papst emeritus Benedikt XVI.

Im Vatikan schwiegen die Glocken, als Benedikt XVI, Papst emeritus der katholischen Kirche, verstorben war. Man kann das vielleicht ein wenig unpassend finden, immerhin bekleidete der Tote fast ein Jahrzehnt lang das höchste Amt, das ein Mensch innehaben kann: Stellvertreter Christi auf Erden. Doch irgendwie passt es doch. Er war still geworden, in den letzten Jahren – seinem Alter, seiner Schwäche geschuldet, aber vielleicht lag es auch ein bisschen daran, dass in jenen Momenten nach seinem Rücktritt, in denen er etwas sagte, das hysterische Geplärre auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht, die schön von hässlich und wahr von falsch trennt, zu ohrenbetäubenden Stürmen anschwoll.  

Zuletzt wurde sein Ruf, zumindest in Deutschland, vollends ruiniert, mithilfe der Behauptung, er hätte kirchliche Missbrauchstäter gedeckt. Spannend zu bemerken an dieser Aussage ist, dass sie sich mit dem Münchner Missbrauchsgutachten beweisen lassen will, dieses aber bei einem genauen Studium keinen solchen Beweis erbringen kann. Doch die Behauptung hat ein Momentum entwickelt, das noch jetzt hineinreicht in die Vierung des Petersdoms, wo Benedikts Leichnam aufgebahrt liegt. Man soll Tote in Frieden ruhen lassen, heißt es. In Benedikts Fall scheint das nicht zu gelten. Stattdessen ereifert sich insbesondere die deutsche Journaille, das 95 Jahre andauernde Leben von Joseph Ratzinger bzw. Benedikt XVI auf Missbrauch zu reduzieren, es einzudampfen auf einen soliden Kern, den sie den Menschen als Stein des Anstoßes vor die Füße werfen. Das Tragische dabei ist, dass es funktioniert, dass der Mensch die Sage vom bösen deutschen Papst – rückschrittlich und ewiggestrig, der wahrscheinlich sogar selbst pädophil war! – glaubt, die erklärten Kirchenfeinden sowieso, Katholiken aber mittlerweile leider auch.

Dabei ist es geradezu unmöglich, Benedikts Leben einzudampfen, es zu konzentrieren auf eine einzige Aussage, auf ein moralisierendes Urteil noch dazu, es bräuchte ganze Bücherregale voller Abhandlungen, um seinem Leben und seinem Schaffen gerecht zu werden. Allein sein literarisches Werk ist eine kleine Bibliothek, sein erlebtes Leben zusammenzufassen – versucht hat es Peter Seewald – scheint wie eine unmögliche Aufgabe. Am ehesten noch hat er es selbst getroffen, mit jenen Worten, die er sprach, bevor seine Seele diese Welt verließ und abberufen wurde vor den ewigen Richterstuhl Gottes: Jesus, ich liebe dich. Wenn es eine Überschrift gibt, die über der großen Biographie Benedikts stehen sollte, dann besteht sie aus diesen vier Worten. Worte, die so ungewohnt persönlich sind, so eindringlich einfach, so klar. Worte, die Urgrund jedes authentischen Lebens aus dem Glauben sind. Worte, die Martyrium bedeuten können, Verfolgung, Anfeindung. Doch, und das ist der feste Glaube eines jeden, der diese Worte ausspricht: dieses Martyrium ist es wert. Denn die Liebe zu Christus ist keine unerwiderte. Vor jedes „Jesus, ich liebe dich“ hat Gott mit seiner Menschwerdung in Christus sein „Ich liebe dich“ gesetzt. Jeder Liebesschwur eines so romantisch Liebenden, wie es Benedikt war, hat schon immer eine Antwort gehabt.

Benedikt Petersdom
Der aufgebahrte Leichnam von Benedikt XVI.
Von Agência Lusa – „Papa Bento XVI em câmara ardente“ (0m 14s), CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=127351549

Wenn sich jene, denen diese Liebe unbegreiflich bleibt, mit polemischem Gekreische über einen der größten Deutschen und Europäer des 20. und 21. Jahrhunderts überschlagen, kann man natürlich mit Polemik antworten, ihnen sagen, wie unsagbar ignorant sie mit ihren kleinen, dürftigen Leben auf dieses Leben in Fülle blicken und vor lauter Neid nur im Stande sind, geifernd und voller Hass auf einen Toten zu spucken, oder aber man stimmt ein in das wissende Schweigen der Glocken des Petersdoms. Dieses erzählt nämlich lautlos von einer Welt, die zu bewohnen es mehr wert ist als jene, in der man meint, Benedikt sei ein Vertreter und Mit-Konstrukteur patriarchaler Machtstrukturen, Missbrauchsermöglicher, Piusbruderversteher und weiß Gott nicht was sich Synodendeutschland noch so aus seinen von moralisierendem Auf-andere-Leute-Zeigen krampfig gewordenen Fingern saugt. Eine Welt nämlich, in der in letzter Instanz nur das „Ich liebe dich“ zählt und die Boshaftigkeit nur an dem erstarrten Antlitz eines Heimgegangenen abperlt. Und warum? Weil es nun nicht mehr unsere Angelegenheit ist, darüber zu urteilen, was Benedikt hätte tun und nicht tun sollen, sondern die des Allmächtigen. Weil die Seele Benedikts dahin zurückgekehrt ist, von wo sie gekommen ist, in die Hand des Schöpfers.

Die Welt, von der die schweigenden Glocken des Petersdomes erzählen, ist eine, in der Gott noch einen Rest zu sagen hat und in der die Wahrheit nicht von synodalen Ausschüssen und Pfarrgemeinderäten bestimmt wird. Sie ist eine Welt, in der das alles, was uns umgibt, nur ein müdes Abgepaustes vom Glanz der wirklichen Welt ist, dem Paradies, das Gott sich und uns errichtet hat und in das, so hoffen und beten wir, auch Benedikt aufgenommen wurde. Dort wird er das Geplärre nicht mehr hören, er, der sanfte und traditionsbewusste Reformer, der virtuose Theologe, der Sprachkünstler, der einfühlsame spirituelle Lehrer, der Liebende, dessen liebender Blick immer auf den gekreuzigten, sterbenden Christus gerichtet war, der seine ganze Theologie aus diesem liebenden Blick zog und schöpfte. Wenn die Glocken auch weiter schweigen für Benedikt, so wird wahrscheinlich die Kritik nicht leiser und weniger kreischend werden. Aber das ist in Ordnung, denn in das Schweigen der Glocken mischt sich auch das Gebet für ihn und in seinem Namen. Und hoffentlich wird der leise Ausspruch des Sterbenden nicht verhallen, sondern lauter und lauter wiederhallen in den Herzen dieser Welt: Jesus, ich liebe dich!

Beitragsbild: © Broc, CC BY 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by/3.0, via Wikimedia Commons

Bild: © Agência Lusa, CC BY 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by/3.0, via Wikimedia Commons

Ein Gedanke zu „Jesus, ich liebe dich

  • Marc Stegherr

    Brillianter, hervorragender Artikel, der alle Defizite, an der die deutsche Diskussion über den verstorbenen Papa emeritus auf den Punkt bringt, aber auch und vor allem die überragende intellektuelle, menschliche und katholische, christliche Größe des Verstorbenen. Herzlichen Dank!

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