Landtagswahl Bayern: Bianca Hegmann (Grüne) im Gespräch
Am 08. Oktober 2023 wählen die Bayern einen neuen Landtag. Die Grünen – die zuvor stets unter der 10-Prozent-Marke verharrten – zogen 2018 mit 17,6 Prozent als zweitstärkste Kraft in das Landesparlament ein. In aktuellen Umfragen ist zwar ein Abwärtstrend erkennbar, die Partei wird voraussichtlich aber wieder auf Platz zwei hinter der CSU landen. Für unsere Region schicken die Grünen Bianca Hegmann als Direktkandidatin in die Landtagswahl.
Die 43-jährige ist vor vier Jahren von München nach Polling gezogen und arbeitet als Berufsschullehrerin. Bei der Aufstellung setzte sie sich gegen zwei Gegenkandidaten durch. Zu ihren Schwerpunktthemen zählen Energie- und Verkehrspolitik. Wir haben Frau Hegmann gebeten, uns einige Fragen zur anstehenden Wahl und der folgenden Legislaturperiode zu beantworten.
Frau Hegmann, während Martin Hagen (FDP) als Böller-Rebell in den Schlagzeilen war und die AfD mit verschiedenen Fraktionsaustritten für Wirbel gesorgt hat, war es um die Landtags-Grünen eher ruhig. Ist das ein gutes Zeichen, oder ist es Ihrer Partei nicht gelungen, Akzente zu setzen?
Unsere grüne Politik ist langfristig angelegt. Kurzfristige Aktionen wie die von Ihnen beschriebenen schaffen es vielleicht, die Klickzahlen in den einschlägigen Netzwerken nach oben zu treiben. Wir brauchen aber keine Klicks, wir brauchen Lösungen auf die vielen anstehenden Baustellen: Klimawandel, Energiesicherheit, Mobilität für alle, Gerechtigkeit, zukunftsfähige Landwirtschaft, … ich könnte noch viele weitere Themen nennen, an denen wir arbeiten. Da gibt es leider kaum einfache Antworten und noch weniger reißerische Bilder. Wir sind hier aber sehr gut aufgestellt und können ab Oktober liefern, wenn uns die Menschen Ihr Vertrauen aussprechen.
Was sind die größten Probleme, vor denen Bayern im Allgemeinen und unsere Region im Speziellen stehen?
Die Versäumnisse der letzten Jahrzehnte aufzuholen. Egal ob bei der Energieversorgung oder beim öffentlichen Verkehr, bei der Geschlechtergerechtigkeit oder bei sozialen Themen: Wir haben in den letzten Jahren immer nur gehört, wie toll Bayern ist. Beispiel eins Energie: Kaum gibt es Probleme bei der Versorgung mit Gas wird Bayern zum Sorgenkind Deutschlands. Beim Strom sieht es nicht anders aus.
Beispiel 2: Versiegelung: Mit unfassbarem Tempo verbauen wir unsere schöne Landschaft. Wir bauen immer neue Straßen und stehen doch wieder im Stau. Discounter und Supermärkte stehen auf der grünen Wiese statt im Ort. Logistikhallen kennen nur noch einen Trend: größer und höher. Dass der Wald weg ist und der Alpenblick dauerhaft hinter tristem Schnellbau-Grau verschwunden ist: Das hat Auswirkungen, über die wir uns viel zu wenige Gedanken machen.
Beispiel 3 Demokratie-Defizit: Wer zu lang regiert, regiert am Volk vorbei und agiert eher wie Königs. Wenn man sich anschaut, wie schamlos sich aktive Politiker und Menschen aus dem Dunstkreis der Regierungspartei an der Corona-Pandemie bereichert haben: Wir reden hier insgesamt von einem großen zweistelligen Millionenbetrag… ich finde das unfassbar. Dass niemand zum Milliarden-Desaster um die Münchner Stammstrecke steht, dass das aus Wahlkampf-Gründen unter den Teppich gekehrt wird, obwohl es Auswirkungen auf ganz Bayern hat: unglaublich. Dass im Windschatten dieser Filzgeschichten anti-demokratische Gruppierungen Aufwind gewinnen, gerade hier im Landkreis Mühldorf: interessiert in der Regierung offensichtlich niemanden. Das ist nicht nur peinlich für Bayern, das ist gefährlich. Und es setzt die Zukunftsfähigkeit Bayerns aufs Spiel. Unternehmen schauen sich ganz genau an, wo sie investieren. Und da machen sich solche Geschichten gar nicht gut.
Sichere Energieversorgung ist seitdem russischen Angriff auf die Ukraine ein wichtiges Thema. Reichen die grünen Standardlösungen – Wind, Sonne, Wasser – aus? Oder sollte man eine Rückkehr zur Atomkraft in Betracht ziehen?
Wir brauchen erneuerbare Energien als Standard, daran führt kein Weg vorbei. Das schöne an Erneuerbaren ist ja, dass sie direkt von uns Menschen hier vor Ort produziert werden können: Auf unseren Dächern oder mit Solarparks und Windrädern in Hand von Bürgerinnen und Bürgern. Das ist eine Riesenchance endlich aus der Abhängigkeit von großen Konzernen und anderen Ländern zu kommen. Dazu kommen Arbeitsplätze vor Ort und Aufträge für örtliche Unternehmen. Reichen sie aus? Im Moment noch nicht, leider. Deswegen müssen wir richtig Druck machen bei Erneuerbaren, aber auch bei der Speichertechnologie. Wir hätten hier schon viel weiter sein können, wenn nicht in den letzten Jahrzehnten eine massive Verhinderungspolitik gerade hier in Bayern den Ausbau der Erneuerbaren verhindert hätte. Hier hilft uns die Atomkraft leider nicht weiter: Wo kommen die Brennstäbe her, wenn wir kein russisches Uran mehr verwenden wollen? Wo wird am Ende alles endgelagert? Ist eigentlich allen, die nach Atomkraft schreien, klar, dass es eines Tages sein kann, dass der radioaktive Müll auch bei Ihnen in der Gemeinde verbuddelt werden könnte? Atomkraft ist mit allen Kosten gerechnet, also auch der Endlagerung, die teuerste Art Strom zu produzieren. Sonne und Wind dagegen schicken keine Rechnung. Was hält uns also auf, endlich das zu nutzen was uns tagtäglich umsonst zur Verfügung steht? Mit der Energie, dem Aufwand und dem Geld, das wir jetzt wieder in die Diskussion um Atomkraftwerke stecken, könnten wir schon wieder einige neue Solarparks eröffnen. Hier braucht es Tempo, keine langwierigen Diskussionen. Dafür wollen wir Grüne ab Oktober sorgen.
Mit welchen Themen würden Sie sich als Abgeordnete gerne befassen?
Ich picke jetzt mal zwei heraus, die mir besonders am Herzen liegen:
Erstens Verkehr, besonders der Öffentliche: Aufs Auto angewiesen zu sein, ist keine Freiheit. Was ist mit all denjenigen, die zu jung oder zu alt sind, ein Auto zu fahren? Jugendliche z.B. die bis zum 18. Geburtstag aufs Mama-Taxi angewiesen sind? Oder Senioren, die ohne fremde Hilfe nicht mal den Arztbesuch alleine bewältigen können. Ist das Freiheit? Dass es Familien gibt, die sich das Auto vom Mund absparen müssen, damit sie überhaupt noch am öffentlichen Leben teilhaben können, ist ein Armutszeugnis für ein so reiches Land wie Bayern. Um hier Alternativen zu bieten, haben wir Grüne gerade erfolgreich dafür gesorgt, dass das Mühldorfer Streckennetz endlich neue Züge bekommt. Hier würde ich gerne weiter machen, damit Bus und Bahn zum günstigsten und attraktivsten Verkehrsmittel werden.
Ein anderes Thema ist die Bildungspolitik: Ich bin selbst Berufsschullehrerin und merke tagtäglich, dass es mit Bildungsgerechtigkeit nicht weit her ist: Digitalisierung an Schulen? Wenn es sich die Eltern leisten können, dann sitzt Tochter oder Sohn mit Tablet im Unterricht. Für die anderen stehe ich immer noch am Kopierer. So wie zu meiner Schulzeit in den 90gern. Also auch hier viel zu tun. Ich würde mich freuen hier Akzente zu setzen.
Die CSU wird aller Voraussicht nach einen Partner brauchen. Ist schwarz-grün ein Modell für Bayern?
Ich sage es Ihnen ehrlich: ich bin kein Fan von Schwarz-grün oder Grün-Schwarz. Eine Koalition mit einem Ministerpräsidenten der Bäume umarmt aber immer noch nicht verstanden hat, dass auch Bayern etwas gegen Klimawandel und Artensterben tun muss: das wird ein hartes Stück Arbeit. Aber eines ist klar: Wir haben den Willen zu regieren und Bayern zukunftsfit für unsere Kinder und Enkel zu machen. Gerne in anderen Koalitionen. Aber wenn es die Wählerinnen und Wähler so wollen, dann wird es diese Koalition geben. Und wir werden dann dafür sorgen, dass Bayern nicht nur Ankündigungsmeister bleibt, sondern ganz vorne mitspielt bei den Zukunftsthemen.
Foto: © Bianca Hegmann