Bundestagswahl: SPD-Direktkandidat Jürgen Fernengel im Interview
Die SPD ist seit der vergangenen Bundestagswahl – aus der sie überraschend als stärkste Kraft hervorging – stark in der Wählergunst gefallen. Den Umfragen zufolge kommt die einstige Volkspartei nur noch auf Platz drei hinter Union und AfD. In den Landkreisen Mühldorf und Altötting stellt sich der Münchner Jürgen Fernengel der Herausforderung, die Wähler vom Programm der Sozialdemokraten zu überzeugen.
Das Ende der Ampelregierung wird von einigen Beobachtern vor allem dem Kanzler, Olaf Scholz, angelastet. Zudem werfen viele der SPD vor, in der vergangenen Legislaturperiode durch Untätigkeit wichtige Entscheidungen blockiert zu haben. So habe der Kanzler nicht entschieden genug Partei für die Ukraine ergriffen, oder wichtige Klimaschutzmaßnahmen hinausgezögert.
Für die Inn-Salzach-Region tritt der Chemie- und Energietechnikingenieur Jürgen Fernengel als Direktkandidat für die SPD an. Der 1985 in Siebenbürgen geborene, in Kumhausen bei Landshut aufgewachsene und jetzt in München wohnhafte befasst sich beruflich mit Kleinkraftwerken. Seine politischen Schwerpunkte sind die Bereiche Umwelt und Energie sowie Wirtschaft und Arbeit.
inn-sider: Herr Fernengel, die SPD hat seit der letzten Wahl deutlich an Zustimmung verloren. Was sind die Gründe dafür?
Jürgen Fernengel: Meiner Meinung nach sind vor allem zwei Effekte dafür verantwortlich. Zum einen hat die Opposition es erfolgreich geschafft, dass in der öffentlichen Wahrnehmung nicht die Projekte (Mindestlohn, Fachkräfteeinwanderungsgesetz, Zeitenwende bei der Bundeswehr, Krankenhausreform, …) im Vordergrund standen, die ja sogar in einer Zeit größter Herausforderungen (Krieg in der Ukraine, Energiekrise, Inflation, …) umgesetzt wurden, sondern die Streitereien zwischen den Koalitionären. Unzweifelhaft war der offen ausgetragene Streit schlecht. Aber wichtiger sollte doch eigentlich sein, was tatsächlich umgesetzt wird. Und zum anderen haben wir eine ähnliche Situation bei Kanzler Olaf Scholz. Obwohl er von allen Mitbewerbern auf das Kanzleramt die größte Kompetenz und Regierungserfahrung mitbringt, wird ständig auf seine sehr kühle und knappe Art der Kommunikation verwiesen. Aber sollte es nicht wichtiger sein für einen Kanzler, dass er das Regierungsgeschäft versteht und bedächtig handelt, statt möglichst unterhaltsam zu sein oder, noch schlimmer, impulsiv und kurzsichtig?
inn-sider: In der öffentlichen Debatte wurden vor allem die Vorstöße der Grünen und die Haltung der FDP dazu diskutiert. Hat die SPD, obowohl sie die stärkste Partei des Bündnisses war und den Kanzler stellt, zu wenig eigenen Akzente gesetzt?
Jürgen Fernengel: Die SPD hat lange Zeit versucht den öffentlichen Streit nicht auch noch anzuheizen, sondern einerseits die Projekte des Koalitionsvertrages umzusetzen und andererseits die Koalition zusammenzuhalten, indem man eben nicht öffentlich und somit gesichtswahrend auf die Koaltionspartner einwirkt. Sehr viele Projekte der SPD wurden auch umgesetzt. Ich hätte mir gewünscht, dass auch unsere Koalitionspartner mehr Energie in die erfolgreiche Umsetzung eigener Projekte gelenkt hätten und dafür weniger in die mediale Selbstdarstellung, was der Ampel letztenendes insgesamt geschadet hat.
inn-sider: Nicht nur rechts, sondern auch links der Mitte gibt es neue Parteien, die um die Gunst der Wähler buhlen. Wie sollte sich die SPD Ihrer Meinung nach gegenüber dem BSW positionieren?
Jürgen Fernengel: Das BSW ist mit Ausnahme des Aushängeschildes Sarah Wagenknecht, den zwei klaren Positionen gegen eine Unterstützung der Ukraine und für eine striktere Migrationspolitik sowie einer allgemeinen Positionierung für mehr soziale Gerechtigkeit noch recht unklar in seiner Positionierung. Wir tun gut daran, erstmal zu beobachten, in welche Richtung sich diese Partei entwickelt. Aktuell ist sie, speziell wegen der kritischen Einstellung zur Nato und der Unterstützung der Ukraine, auf Bundesebene keine Option als Koalitionspartner.
inn-sider: Auch aus Ihrer Partei gab es zuletzt Forderungen nach einer Begrenzung der Zuwanderung, die Vorschläge der Union unterstützte die SPD jedoch nicht. Welche Maßnahmen wären stattdessen sinnvoll?
Jürgen Fernengel: Wichtig ist eine europäische Lösung der Migrationsfrage. Letztes Jahr wurde hier mit GEAS ja auch ein Druchbruch erzielt; übrigens zusammen mit den Abgeordneten der EVP. Dies muss in nationales Recht übergeführt werden. Außerdem haben wir auf Anordnung unserer Innenministerin Nancy Faeser bereits die Grenzkontrollen ausgeweitet und verschärft, was zu einer deutlichen Verringerung der Migration geführt hat. Die Maßnahmen liegen somit auf der Hand und sind auch schon in der Umsetzung. Einzig die Ausweisung von Personen ohne Aufenthaltsrecht funktioniert leider noch nicht so, wie es sein sollte. Hier müssten die Ämter besser unterstützt werden, falls nötig mit mehr Personal. Der unabgesprochene Vorschlag von Herr Merz, der eine europäische Lösung torpediert, teilweise internationalem Recht widerspricht und auch in manchen Punkten so nicht umgesetzt werden kann, ist reinstes Wahlkampfgetöse, welches enormen Schaden hinterlassen hat.
inn-sider: Dass der Unionsantrag mit Stimmen der AfD angenommen wurde, wurde von Ihrer Partei scharf kritisiert. Halten Sie eine Koalition mit der Union jetzt noch für möglich? Mit wem sollten die Sozialdemokraten nach der Wahl zusammenarbeiten?
Jürgen Fernengel: Die SPD ist eine Partei, welche sich ihrer Verantwortung für das Land bewusst ist. Wir wollen Politik machen, damit es den Menschen in diesem Land besser geht. Leider ist es so, dass viele Menschen meinen, die Ampel wäre eine schlechte Regierung gewesen, weil häufig öffentlichkeitswirksam gestritten wurde, ungeachtet der umgesetzten Projekte. Und nun hoffen sie darauf, dass die Union es besser macht. Wenn man sich die Bilanz der vergangenen Unionsministerinnen und -minister aber ansieht, Andreas Scheuer, Jens Spahn, Horst Seehofer, Julia Klöckner, … ist das nur ein frommer Wunsch. Ich würde mir sehr wünschen, dass unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger das erkennen und zumindest das Schlimmste – einen impulsiven, kurzsichtigen und gänzlich regierungsunerfahrenen Herr Merz – verhindern, indem die SPD stärkste Kraft und Olaf Scholz Kanzler wird. Dann kann man auch mit der Union über eine Koalition sprechen.
Foto: © Jürgen Fernengel